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Storyboards
"Die Kunst ein Deutscher zu sein" lautet ein Thema, das im Rahmen des "Monats der Fotografie" ausgelobt wurde, an dem sich der Kunstverein Worms mit über 30 anderen Kunst- und Kultureinrichtungen der Region beteiligt (siehe Katalog).
Unser Beitrag sind die Fotos von Wilhelm Kreimeyer aus Dortmund, der mit seinen Dibonds einen Blick in deutsche Kinderstuben eröffnet, indem er Puppen fotografiert, wie man/frau/kind sie aus dem "guten" alten Kasperletheater kennt: den Kasperle selbst und sein Ensemble aus Großmutter, Gretel, Jäger, Krokodil, Teufel und anderen mehr. Ein Puppentheater wird wieder lebendig, das gerade in Deutschland eine Jahrhunderte alte Tradition besitzt, das einst auf Jahrmärkten auch für Erwachsene geboten wurde, das einen Goethe zu seinem urdeutschen Urfaust inspirierte und immer wieder Bühne für die oft grausamen Märchen der Gebrüder Grimm war. Dazu gesellt Kreimeyer andere typisch deutsche Figuren wie Gartenzwerge oder Polizistenpuppen aus den 50er Jahren, die immer noch den kleinen braunen Schnauzbart tragen.
Dabei hebt die Großaufnahme jede Figur auf ein menschliches Maß und gibt diesen Puppen mit starrem Blick oder eingefrorenem Lachen eine eindringliche Präsenz, die fast vergessen lässt, dass es nur Puppen sind - so wie ein Kind sich täuschen lässt. Diese lebensnahe Mimesis steigert Kreimeyer durch eine theatralische Inszenierung. Die einzelnen Puppen werden mit anderen Puppen oder Requisiten in Szene gesetzt, so dass Positionen, Gesten und Blickrichtungen eine Handlung andeuten. Wie bei Comic-Strip wird diese Story in Sequenzen mit bis zu fünf Einzelbildern erzählt. Doch was nun tatsächlich geschieht, bleibt eher undeutlich. Was die Jäger bei ihrer "Aufbruchstimmung" mit zähnefletschenden Hunden im Sinn haben, was die ernsten Blicke eiskalter Augen beim
"Kameradschaftstreffen" jener Polizisten mit braunem Schnauzbart zu bedeuten haben, bleibt unausgesprochen und dadurch eher unheilvoll.
Wie in einem Storyboard, einem bebilderten Drehbuch, wird nur skizziert. Sprechblasen fehlen, so dass der Betrachter frei assoziieren und projizieren kann. Süße Kindheitserinnerungen, die sich auf den ersten Blick auf diese Fotokunst von Wilhelm Kreimeyer eingestellt haben mögen, werden also sehr schnell etwas sauer. Seine sarkastischen, zum Teil brutalen und sogar pornografischen Fotos suchen einen lebhaften Dialog mit dem Betrachter und lassen ihn durch die psychologischen und politischen Schlüssellöcher einer allzu deutschen Kinderstube schauen.
Dr. Dietmar Schuth,
Künstlerischer Leiter des Kunstverein Worms
2005 |
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